Kinga Tóth

Die Unsichtbaren

Mondgesichter I

 

Es gibt eine Abteilung im Laszlokrankenhaus, wo die Chancen geringer werden, man tut alles für dich, aber du bist doppelausgängig, es schmerzt nicht, als die Drähte in deinen Arsch geführt werden, nur dass du nicht dachtest, dass die Maschine dich vor dem Menschen screwt.

Ziehbare Fenster, wir sehen durch, wem es wie geht, Nummer 243 quengelt, seine Mutter darf jetzt rein. Nach Desinfizierung kann sie zu ihm, also hat der 243 nicht viel oder er kann nach Hause. Der Vorhang ist entscheidend, wird er gezogen, können wir nicht reingucken, bis der andere kommt, manchmal zieht es sich 2-3 Tage hin, dann kommt ein anderer. Beim Abschied wird der Vorhang auch nicht geöffnet, aber es ist auch schwer, wie er sich anzieht, wir freuen uns, ihm gelingt es, uns vielleicht auch.

Weiß bekommt jeder von uns, die schweren 2x2, die Kleinnummerierten einmal weniger. Morgens, nach der Blutprobe, starten die Staubsauger, leider ist der Boden voller Haare, was zur Kontamination führen kann, nach dem Saugen wird gelaugt, bis dahin müssen wir den Stuhl lösen. Wenn es fertig ist, klingeln wir mit dem roten, dann wird reingeschrieben, dass es geklappt hat, kotzen versuchen wir zu vermeiden, wenn es schwierig ist, klopfen wir durch das Fenster, dass der andere herkommt und spricht, bis es vergeht, das hilft, auch wenn du eigentlich nicht hörst, was er sagt.

Bei der Infusion bitten wir die Krankenschwester, die Vorhänge nicht zuzuziehen, es ist erschreckend, bedeutet für uns was Anderes, so können wir einander die Daumen drücken, es läuft schneller und der Ablauf ist nicht so unangenehm.

Wenn es uns gut geht, dürfen wir zum anderen Fenster, das ist eine große Tür, aber geschlossen, dadurch könnte man zur Terrasse, hier dürfen die Verwandten stehen, wir am anderen Ende, dort zeigen wir ihnen die Zeichnungen. Mutter konnte schon einmal rein, es hieß, dass ich am Mittwoch nach Hause darf, aber als sie wegging, kam das Kurzatmen, also konnte sie lange nicht kommen, der Vorhang war nicht zugezogen, wir wussten, dass es kein Problem ist.

 

Berge

 

Zwei Metallzylinder sind in meiner Hand. Aus den Metallzylindern laufen gedrehte Kabel ins Steuerpult und ins Magnetbett. In Höschen und Pullover sitze ich auf dem Plastikstuhl, sie haben nicht gesagt, dass es nur barfuß geht, alles musste ausgezogen werden. Unter meinen Beinen auch Magnetsensoren, hier verbringe ich 20 Minuten, lege mich dann auf das Sensorbett, auf der Linie des Halses, des Kreuzes, des Unterleibs und der Knöchel sind die Magnetplatten. Ich darf nicht sprechen, Elektroden sind auf meiner Stirn, sie messen die Organkapazität. Aus dem weißen Plastikgerät kommt eine lange Quadratgitterplatte raus, ähnlich wie EEG, Kurven und Farben darauf. Die Kurven schwanken, hoch über dem Standzeiger, wie die Darstellungen der Berge im Geographiebuch. Ich freue mich, bringe gute Leistungen, die Werte sind nicht unter dem Niveau. Überfunktion, die Organe und der ganze Organismus sind über-lastet, müssen dringend verlangsamt werden. Berge sind nicht gut.

 

Ziegeneuter

 

9:30, Einrückung. Um Mitternacht Bittersalz, dann Salzwasser, vier Flaschen neben dem Waschbecken. Die Zahnbecher spülen sie aus, in der Flasche noch von gestern Orangensaft, das kann frühestens am Nachmittag getrunken werden, hoffentlich kippt er nicht um. Das Glas ist 0,25 l groß, vom Salzwasser muss man kotzen. Ich presse meine Lippen zusammen, lasse es nicht rausfließen, noch mehrere Gläser.

Die Beruhigungsdame schreibt zuerst die Temperatur auf, den Stuhl, spritzt dann in meine Tüte ein Neues ein. Drückt meinen Brustkorb nach hinten, jetzt werde ich ruhig und sie können mich leicht auf das Rollende legen. Auf dem Gang zähle ich die Gemälde, Stillleben, Vase, Blumen auf der Decke, auf dem Tisch zurechtgestellt, wir fahren zu schnell, sie verwischen, die nackte Frau noch, dann verdeckt durch die Klapptür.

Die Brust der nackten Frau drückt sich an ihre obere Rippe, während sie einen Zopf macht. Ziegeneuter, so nennen sie bei uns die Trauben, die der ausgebreiteten Brust ähneln. Delikatessen, spätestens Anfang September müssen sie abgelesen werden, sonst werden sie sauer. Sie kommen nicht in den Wein, nur Othello und Zweigelt, das sind Kindertrauben, diese kommen in einem solchen Korb auf den Tisch, wie auf den Bildern.

Die Frau ist auch geöffnet, an ihren Beinen, am Oberschenkel, am Bauch, an der Brust, am Hals, am Oberarm zitronengelbe Striemen. Die entzündeten Teile sind gefleckt, wie die Pfingstrosen der Ziegeneuter, rosa, und alle ihre Blätter sind sichtbar. Sie schließt die Augen, fixiert die Haare, hochtoupiert, so scheint der Zopf größer, wenn sie ihn einwindet. Meine drückt das Kissen herab, ich liege auf der Seite und schaue nur manchmal den Monitor an, mein Kittel und meine Hose sind vorgelocht, dort gehen die Geräte durch. Darunter lassen sie mich nichts anziehen, jetzt drückt sich meine Brust auch an meine obere Rippe, kalt und feucht, wie der Nylonbezug auf dem Bett, nur auf dem Bildschirm und in den Tunneln sind warme Farben.

In dem einen läuft die Wirbelsäule der Schlange, da kann man hereinreiten, wo die großlochige Blume die mit dem Kittel zusammensammelt. An der Tür stehen sie Schlange auf je einem Knorpel der Wirbelsäule, die von hinten klammern sich an die Taille oder die Schulter der vorderen an, sie gleichen einander aus. Der erste zeigt an, wann es erlaubt ist, wann sie in den anderen Gang losfahren können, von wo die weiße Kugel abgeknipst wird. Die Zange drückt die Schneise ab, solange der Nächste schweißt und die Ränder verbrennt. Den zitronengelben Signalstreifen entlang steuern sie den mit Leuchtendteil und den Aufnehmer hinaus, die Pfingstrose wird immer kleiner und die Höhlung immer enger und heller. In die Tüte drücken sie eine andere durchsichtige Flüssigkeit, bevor sie den Wagen starten. Rückwärts suche ich den Ziegeneuter, bevor ich einschlafe, sehe ich, dass er auch weiß wird.

, an den Venen. Das einfachste ist bei der Ellenbeuge, an dem weichen Teil, wo es reinläuft, springt es nicht von der Ader ab. In den Knöchel nur im äußersten Fall, wenn die Venen vernarbt sind.

Die Öffnung ist orangegelb, an ihrer Wand, auf dem Schleim weiße Streifen.

 

Schmetterlingsnadel

 

Ich will die mit den Schmetterlingen. Vernarbt sind die Venen. Halbwach prüfe ich meinen Ellbogen, betaste ihn vorsichtig: Die Haut ist dünn, sehr empfindlich, ich berühre sie einen Zentimeter höher. Wenn ich keinen Kunststoff spüre, bin ich nicht im Krankenhaus. Schlafe also in langärmligen Pyjamas, ziehe die Ärmel bis zu den Handrücken, taste. Wenn die Kanüle drin ist, wickele ich die Decke darum, um zu glauben, der Pyjama würde bis zum Handrücken reichen.
Ich bin nicht hier.

Der Schmetterling bleibt nicht in den Venen, nach der Infusion kommt er raus. Bricht nicht, fällt nicht. Kein Hämatom, auch die Narbe ist klein. Es geht gut am Handrücken, nur nicht in der Ellenbeuge, ich ekele mich vor der Innenseite des Unterarms, der weichen Beuge. Dort sticht die Nadel sofort durch die Venenwand, wenn ich mich bewege. Ein Kunststoffrohr führt durch meine Vene, durch sie fließt die Chemikalie. Wenn sie zurückfließt, können Luftblasen hineinkommen, ich könnte sterben. Sie kommen zu spät, der Tropf färbt sich rot. Mein Zimmergenosse zeigt mir, wie der Schlauch herausgezogen und zusammengepresst wird, falls sie nicht auf die Glocke reagieren. Wenn es weh tut, soll ich ihn rausreißen.

Ich bekomme die Schmetterlingsnadel. Die Venen sind explodiert, unbrauchbar, sagen sie. Gummihaut, sagen sie. Die Nadel kommt fast nicht durch, springt zurück. Sie kreisen mit der Nadel in meiner Armbeuge. Ich fühle, wie die Spitze die Vene sucht. Laut sage ich: Ich wünsche mir eine gute Vene, damit es endlich klappt, damit sie mich nicht hassen. Sie verbinden Misserfolg mit mir.

 

Tiefgang I

 

Ich presse die Nasenflügel zwischen Daumen und Zeigefinger, schließe die beiden Öffnungen. Jetzt kräftig blasen. Ein Zischen aus der linken Öffnung. Das Ventil muss noch trainiert werden, es schließt nicht gut. Ich wasche mir die Haare im Waschbecken, geringere Chance, dass etwas in die Ohren fließt. Ich bücke mich, halte meine Nase zu. Hammer-Amboss-Steigbügel. Sie pumpen es heraus, geben mir Tampon und Creme. Pimafucort, ich bin 16 und lache über den Namen. Klingt wie Pussy. Komme zurück vom HNO-Arzt, gehe in die Kneipe zu den anderen, heute kein Gymnasium mehr. Fast berühren meine Haare meinen Hintern, ich bedecke meine Ohren mit ihnen und gebe acht, Rehaugen sind die Gewinner. Dann, auf dem Weg zum Studentenheim, schwindelt mir. Jetzt beide Öffnungen schließen, Blasentrick, damit es knallt. Auch mit Ohrstöpseln kann ich nicht in den See. Es strömt hinein. Ein bisschen weniger, aber dennoch. Fließt an den Knochen vorbei, bis in die Schnecke hinein, sodass mir schwindelig wird. Dumpf das Auto und die Person, die zu mir spricht. Unterwassersein.

Wie in der Wanne, wenn du ins Wasser sprichst, so sprechen sie zu mir. Ich bin am Boden der Wanne und sie wollen mich von oben erreichen.

 

Tiefgang II

 

Neonpink, grün und lila ist seine Schwimmhose, vorne eine weiße Schnur. Seine Schenkel sind behaart. Das sehe ich unter Wasser. Von hinten haben sie uns ins Becken gestoßen, einen nach dem anderen, der Überlebensinstinkt steuert automatisch das Tempo von Hand und Fuß. Die Fliesen weiß-hellblau, ich sehe den Boden des Beckens. Sie suchen mich nicht. Die Beine des Schwimmlehrers wie Froschschenkel, kräftig kickend, er bewegt sich weder vor noch zurück. Wahrscheinlich war er es, der mich herausgezogen hat, danach darf ich nie mehr in die Schwimmhalle. Wenn da nur ein Kolibazillus im Becken ist, findet er dich, du ziehst so was an, sagt er, während er die Nadel in meinen Schenkel drückt. Ich versteife, weil er mich berührt, meinen Schenkel betastet, um eine Einstichstelle zu finden. Dort kommt das B12 hinein, danach die Immunverstärker. Einmal bricht die Nadel im Schenkel ab, er sticht erneut, davor Spray. Sehr starrköpfig dieses Kind, will sich nicht entspannen, es weiß doch, dass es so nur noch mehr wehtut. Seit ich volljährig bin, stechen sie in die Venen oder in den Hintern, in den Hintern tut es nie weh, in die Schenkel lasse ich sie nie wieder.

 

Domestos

 

Fleisch wird gebraten, wo ich bin. Hier gehörst du hin, hier ist Sicherheit, alle sind sogleich erreichbar, wenn es schlechter wird. Fleisch wird gebraten, dieses Zimmer ist der Küche am nächsten, ich stopfe die Lücke unter der Tür mit Badetüchern und Bettwäsche, damit der Geruch nicht reinkommt. Man brät das Fleisch in Öl, die obere Schicht der gehäuteten Stücke wird geröstet, die Gewürze brennen darauf. Es ist Sonntag. Regel: Putzen, Desinfektion, zuerst Staubsauger, dann Bakterientöter. In den bratenden Tierstücken vernichtet die Verbrennungswärme die Bakterien, das angebrannte Fett und der Fleischgeruch überschwemmen die Räume. Ich nehme das Domestos heraus, das Domestos übertüncht den Todesgeruch. Die Wurst und der Schinken kommen auf den Balkon, es ist kalt. In einem gelben Eimer stellen sie die Flüssigkeit her, damit streichen sie über das Fleisch. Aus Spülmittel und Wasser mische ich einen Lufterfrischer, das Spülmittel ist hautfreundlich und rosaduftig. Eine Flasche mit Pumpe suche ich, fülle sie mit der Mischung, schüttele sie und schnipse wie bei der Spritze, damit sie gut streut. Ein Spritzer auf die Brust, einer auf den Schenkel, die Leber ist intensiver, darauf leere ich sie halb aus.

 

Regel

 

Warnungen schreibe ich mir auf, eine auf jede Rolle. Murrgesichter zeichne ich darüber, Restpapier bleibt für den Bart. Nicht das mit Gluten, mit Mehl, mit Milch. Käse nur wenig, kein Brot. Kein Zucker, nein Torte, nein Birne und Trauben, Obstsaft morgens. Kein Konservierungsstoff, keine Konserve.  Neindosen. Keine Kohlensäure, nichts von Tieren, kein Fett. Damit ich sie immer sehe und es mir nie einfällt, sie zu brechen, sonst kommen die Konsequenzen, dann muss ich ihnen lange ins Auge sehen. Für jede Regel ein Murrgesicht, das Badezimmer ist voll mit Nein. Das sind die neuen Grund-sätze, das ist das neue Leben, wo jede Härte nur Wohlwollen ist.

 

Regen

 

Wenn es zu prasseln anfängt, ist Vorbereitungsphase. Die dickeren Socken, die Vorderkappe ausstopfen, das Ganze mit Cremeschaum einschmieren. Schon jetzt schmerzt es, in der Nacht spürt es das im Voraus, ich stehe nass auf. Das muss mundtot, ich mache das nicht, das ist nicht rational, das bilde ich mir nur ein. Und dann hast du jeden Tag Schmerzen, nein, nicht immer, heute eben nicht, aber morgen kommt es. Den Regenschirm nach vorne, er muss vor die Kappe reichen, nichts darf darauf tröpfeln, es wird reinfließen. Es wird kalt und beißen, darf nicht in die Pfütze. Dann fließt es bei der Fügung rein, die Pfütze auf dem Asphalt muss vermieden werden.

Schleudern die anderen doch auf den Füßen den Schlamm nicht auf mich auf, raus auf die Seite, im Bus soll man auch so sitzen. Es wird reinfließen, die Spitze meiner Zehen wird zuerst kalt, meine Ferse, dort ist es auch schlecht bei der Fügung, da wird das Aufgeschleuderte reinfließen. Jetzt muss alles abgesagt werden, vor der Abfahrt eingenommen und noch zwei mitgebracht. Es müsste abgesagt werden, wenn ich rauskomme, meine Schuhe sind nicht gut, die Wärme reicht in den inneren Räumen nicht und es wird reinfließen. Ich muss trinken, dann klärt es sich und kommt nicht hinauf. Das kann man nicht jedem auf der Straße, im Bus erzählen. Bitte, tritt nicht auf mich, bitte schüttele deinen Regenschirm nicht auf mich. Bitte geh weg von hier, ich passe auch auf, tröpfele nicht auf mich, weil ich wieder reingebracht werde.

Um 8 beim Aufstehen das Schwitzen, ich kann nicht baden, mich nur waschen, Wasser ist schlecht. Wasser ist Feind, Kälte auch. Um 9 in der Harnröhre ein Stich, das hält sich den ganzen Tag. Um 9:20 los. An der Bushaltestelle, in der Spitze der Zehen, kaltes feuchtes Gefühl. Seit 8 fürchte ich mich, muss raus. 10, es ist schon auf der Seite, auf der rechten Seite, wo kein Tattoo ist. Nein. Die Infusion soll ein halbes Jahr lang anhalten. Nein.

 

UFO

 

Etwas Tellerartiges ist über meinem Kopf, ganz wie in ER. Ich sehe, dass es eine Lampe ist, aber bin voll mit Beruhigungsmitteln, das Bild ist nicht ganz scharf. Auf der Lampe mehrere kleine fliegende Untertassen, scharfes Licht in kleinen Kreisen, rückt immer näher. Um mich herum Ärzte in grünen Uniformen und Mundmasken, mein Bett ist weiß, ich glänze. Ich belustige mich: So ist es, wenn die Fremden die Erdenbewohner entführen und sie auf den Untersuchungstisch legen. Die Maschinen, mit denen sie in den Körper eindringen und Proben nehmen, kommen näher, ich sehe die Skalpelle.

Ich habe Angst. Schlafe nicht ein. Aber jetzt würde ich gerne schlafen, es ist nicht mehr lustig. Es fällt mir ein, dass sie mich operieren, dieser Teil soll gelöscht werden. Jetzt Injektion, Doppeldosis, gefährlich, das brauche ich nicht zu hören.

Ein Mann trägt mich in den Armen, nur seine Augen sind sichtbar. Sie geben mir Pudding. In meiner Nase stecken Tampons. Bald wirst du Luft kriegen, du wirst Nasengänge haben. Eine Woche später spüre ich den Zug.

 

Kataton

 

Wir bekommen eine Neue, Kataton. Kataton wird spät hereingetragen, seit Langem bin ich hier, jetzt schon unter den Erwachsenen. Erinnere mich nicht an ihren Namen, ihre Augen sind geöffnet, wir warten auf ein Signal, sie zuckt nur. Als ob sie mit der Zunge klackte. Ich schäme mich, sie erschreckt mich sehr. Abends fällt sie manchmal runter, dann klingeln wir.

Sie stirbt. Aber daran erinnere ich mich auch nicht. Mutter erzählt davon, da dämmert es mir, aber ich weiß nicht, ob ich dabei war. Ich denke, ich weiß, dass sie weggetragen und die Bettwäsche gewechselt wurde. So lange sie lebte, gab es nur selten neue, auch wenn sie schmutzig war. Nicht alles floss in die Tüte, ihr rutschten die Kanülen raus. Hellbraune Haare hatte sie und braune Augen, an ihr Gesicht erinnere ich mich. Ihre Mutter hielt ihre Hände. Meine sitzt dem Bett gegenüber auf einem weißen Stuhl, ich kann mit ihr nicht sprechen, tue so, als ob ich lesen würde. Wird es bei mir auch so sein? Dann kann ich ihr endlich erlauben, meine Hände zu halten, dann werde ich bestimmt nicht böse.

Mutter sagt, dass sie sich sehr fürchte, wie alle, denn niemand wusste, was wird. Wusste ich, dass es ernst war? Vater wurde nichts mitgeteilt, weil auch er Angst hatte. Meine Schwester war fast unsichtbar, alle kümmerten sich um mich. Wurde mit ihr gesprochen? Habe ich mit ihr gesprochen?

 

Mondgesichter II

 

Wie ähnlich wir sind. Die Zeit und die weiße Tablette verkneten uns, die Haare fallen unterschiedlich, aber am Ende kommen eben die Flecken an den fast gleichen Stellen, die Augen sind mandelgeschnitten und werden von den Backentaschen bisschen hochgedrückt, als ob wir lächelten. Wir lächeln aber, dann kann jemand zu einem von uns wieder rein, und es ist so, als ob er zu uns allen käme. Rund sind wir, lächelnde Vollmonde, von 230 bis 250 sind wir Mondgesichter. Einmal, als ich raus durfte, zeichnete ich einer Krankenschwester, die ich sehr gern hatte, eine Rose, so ein Tattoo hatte sie, sogar eine E-Mail schrieb ich ihr, sie schrieb aber nicht, es ist nicht gut, tut ihnen nicht gut, wenn sie jemand zu nah lassen. Über den Nachbarsjungen, als er weg war und der Pfleger war auch weg, dessen Namen Mutter mir nicht sagt, wir wollen nicht, dass ich mich daran erinnere, die anderen Namen habe ich längst vergessen, sie beide aber noch nicht. Der Nachbarsjunge war ganz winzig, bekam aber 2x2, Infusion morgens und abends und schrie immer, konnte die Nadel nicht mehr ertragen. Mein Bett war unter dem Fenster zu ihm, als er gestochen wurde, kniete ich da und klopfte ihm den Klopfsong, es gibt ein Klavierstück, wir spiel(t)en das auch mit meiner Schwester, wenn die eine auf der Toilette, die andere im Bad war, an der Gemeinsamwand. Seine Mutter konnte rein, eine Woche lang, jeden Tag, sie war eine junge Frau, lächelnd, winkte uns immer. Die Dosen wurden auf 2x3 erhöht, keiner von uns bekam so viel, aber die Mutter konnte wieder rein. Die gegenüber klopften auch, als er gestochen wurde, alle gleichzeitig den Klopfsong und wir lächelten, lächelten und laut, von den anderen weiß ich nicht. Er wurde immer und immer mehr gestochen, wir gaben nicht auf, wollten den Vorhang nicht wiedersehen, Mondgesichter halten zusammen. Wir klopften, schrien, ich denke, die gegenüber auch, aber er wurde immer schwächer. Barnabas. Die Mutter sagte uns seinen Namen, ich konnte es langsam von dem Fenster lesen. Ich durfte danach gleich raus, als Mutter zum zweiten Mal rein durfte, hatte aber Angst, es ging mir nicht gut, 2x2 plus 48 mg, meine Venen sind nicht gut, seitdem platzen sie leicht, die Nadel rutscht darauf aus. Ich machte den anderen ein Zeichen und mir wurde auch geklopft, in meinem Zimmer war kein Vorhang, ich habe versprochen, dass ich es erzähle.

Ich erkenne, sehe euch. Wir grüßen einander nicht, wir blinken nur, jeder hat Desinfektionsmittel für die U-Bahn und S-Bahn. Gleichzeitig schütteln wir uns, wenn jemand hustet, checken die Baustellen, vieles kommt in die Luft, wir ziehen uns vorsichtig in die Schale hinein, sind draußen, wollen hier bei den anderen sein. Haben Handschuhe für die Treppe, der Innenteil hat einen Sonderstyle, von draußen kann nichts rein, trotzdem scheinen sie gewöhnlich.

So wollen wir auch sein.

Winters ist die Chance für Infektion größer, dann beugen wir den Hals, drehen wir die Schultern und machen Muskellockerung, machen alles um die Dosen zu vermeiden. Wer sich daran gewöhnt, gibt langsam die Kontrolle ab, trägt die Antibiotika in einem kleinen Necessaire, neben den Spiralen und den Kondomen.

Wir erscheinen nicht, vergessen es, nur die Organe geben Signale, sind empfindlich auf Kälte. Wir gehen arbeiten und machen es auch mit Fieber, hassen das Krankengeld und auch die Kranken, benutzen die Hintertür zum Medikamente verschreiben lassen. Der Hausarzt ist diskret und will nicht, dass wir mit den Ordentlichen, den Freien in Berührung kommen. Wir können von euch alles bekommen, aber sind auf alle Fälle vorbereitet, gehen spazieren, gießen Betadine in die Höschen, wenn es beißt, lächeln wir, wir lächeln auch draußen, im Büro, im Bett, hier neben dir sind wir ein lächelnder Vollmond, wir sind die Mondgesichter.