Kathrin Röggla

Bauernkriegspanorama

Es bräuchte ein neues „Bauernkriegspanorama“, heißt es jetzt immer wieder angesichts der Wahldebakel im Osten, eine für die Rettung frühbürgerlicher Revolutionen geeignete Bildkomposition, die etwas von den damaligen utopischen Kräften bewahrt, indem sie die Betrachter im Kreis gehen lässt wie damals in der späten DDR in Bad Frankenhausen, als der Abgesang auf die staatlich festgefrorene Revolution noch nicht so laut zu vernehmen war. Für so ein monumentales Panorama kann es heute allerdings keinen öffentlichen Auftrag mehr geben, allenfalls einen, der immer schon aus einer falschen Vergangenheit kommt oder als Firmenauftrag ausgelobt wurde, ein Ornament eines Unternehmens, das den gesellschaftlichen Frieden als Teil seines Brandings versteht. Auf der gesamten Bildfläche wird eine ganze Weile lang jedenfalls nur dieses eine Grüppchen zu sehen sein, das marodierend herumläuft und sich nachts gerne in Träumen zeigt. Sind es Reichsbürger, sind es Wutbürger, sind es diese Menschen, von Ausweichbewegungen umgeben, die man nicht recht zuordnen kann, nein, vielmehr will, als würde diese Zuordnung einen selbst angreifen? Erstaunlich wenig Menschen für so eine Bildfläche obendrein, wird man sagen, da stimmt etwas nicht, aber schon ziehen sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Vermutlich sind es auch mehr die Ausweichbewegungen, die man zuerst wahrnehmen wird, als dieses Grüppchen selbst, Wisch-und-Wegbewegungen, die immer hilfloser erscheinen, bis die Lautstarken voll sichtbar auf den Hügeln stehen, auf deren Höhe der Rundgang des Panoramas eröffnet wird. „Das sind nicht die Nachfahren Thomas Müntzers!“, müsste man allerdings auf alle Banderolen des Bildes schreiben, auf jede Bildunterschrift, die sich einem bieten könnte, doch vor Bildunterschriften ist dringend zu warnen, jenen kleinen Zwischentiteln, gleichermaßen verwandt den emblematischen Formen der Renaissance oder gar Barockmalerei wie dem Storytelling von Instagram, die nur noch leergelaufene Begriffe beinhalten oder Wörter, die im Prinzip unverständlich geworden sind. Solcherlei Bildunterschriften drücken heute sowieso nur immer aus: Das sind die anderen, niemals wir – uns gibt es ja nur noch in Einzelportraits. Aber nein, hier zeigen sich marodierende Grüppchen, die alles zurückbauen wollen, „am besten das ganze Land“, oder ist da gerade in Wirklichkeit niemand, nur wüste Landschaft, durch die man ziehen könnte, mal dahin, mal dort- 2 hin, Strandlandschaft, Unterwasserböden, nein, Meeresboden, z. B. 5000 m Kalypsotief, Gletscherreste auf Mount EU, Gewerbegebiete um Bad Hersfeld herum, große Lagerhallen, Amazon, Post, Libri. Stationen, zwischen denen etwas in der Art von Flixbussen unterwegs ist, die bekanntlich immer öfter Unfälle bauen, weil ihre Fahrer übermüdet sind, dem Sekundenschlaf ausgeliefert, der einsetzt, wenn die Zeit kommt, und sie kommt immer. Ja, der Sekundenschlaf müsste zu sehen sein, das wäre das mindeste. Es zeigen sich jetzt schon Betonflachbauten und daneben der Neuköllner Arbeitsstrich, von Menschen plötzlich bevölkerte Bushaltestellen im städtischen Niemandsland. Es gibt nicht genügend Wasteland für die Erfordernisse unserer Zeit, heißt es, und so verdichtet sich auch das, schiebt sich ineinander, in Fußballfeldgröße wird da nicht mehr gemessen. Die Fußballfeldgröße überlässt man den deutschen Wäldern, der sogenannten freien Fläche als Maß ihres Verschwindens inmitten der allgemeinen Betonversiegelung.

Jetzt schon vom Verschwinden zu sprechen wäre allerdings voreilig, vorauseilender Gehorsam quasi, denn vieles ist noch nicht richtig aufgetaucht in den meisten Bildausschnitten, wie man sagt, die nie ein Ganzes ergeben werden und alleine doch nicht weitermachen können. Vom Verschwinden zu sprechen wäre insofern voreilig, allerdings wird sich manches gleich von Anfang an aus der Bildoberfläche zurückziehen, und das, was am Ende erscheint in unserer permanenten 360-Grad-Bewegung, wird jedenfalls ziemlich leer aussehen oder in einer merkwürdigen Weise übersichtlich. Vielleicht bleiben nur Gesichter aus den Regionalzügen übrig, dem Cantus von Eisenach nach Bebra, von Rotenburg an der Fulda nach etwas wie Göttingen. Gesichter in Räumen, in denen Fahrkartenkontrolleure unterwegs sind, sozusagen Bahnangestellte, die bei bestimmten Leuten nach Ausweisen fragen und von der Polizei zu sprechen beginnen, bevor noch irgendein Sachverhalt geklärt ist. Inländerzüge, die stets von Ausländerzügen fantasieren, sowas in der Art.

Klar ist, nicht mehr wollen wir, die sogenannte gesellschaftliche Mitte, Einwohner eines Panoramas sein, nur zu gewissen Fußballspielen ändern wir schlagartig unsere Meinung, dann wollen wir aber ganz vorne stehen, in der ersten Bildreihe, bis zum Abpfiff jedenfalls, danach aber sofort wieder weg, ab in die Selfiestrecke, die auch die „arrogante Stille“ genannt wird und plötzlich auch meine ganze Umgebung darstellen soll. Ja, Menschen wie ich, wird gesagt, seien Teil des Problems, sie beschäftigten sich nur noch mit sich und hielten sich für repräsentativ für alles. Das muss 3 schon Jahre so gehen, dieses Hin und Her, es hat Spuren auf dem unteren, also vorderen Teil des Bildes hinterlassen, wie Bremsspuren von schwerem Gummi, einfache Schlieren oder verrutschte Gesten, die auf eine schleichende Bewegung hindeuten, raus aus den gemeinsamen Emotionen in Kinosälen, Theatersälen, vor Podien, in Schulklassen, Quartiershallen, auf Personalversammlungen, Betriebsöffentlichkeiten, Parteiveranstaltungen. Orte, die ich Nacht für Nacht wie eine exotische Schmetterlingssammlung aus meinen Träumen zusammensuchen müsste. Zusammenfangen in der Luft nächtlicher Gewitter und merkwürdiger Stimmungen. Jene Exemplare, die mir eben nicht so einfach auf die Schulter flattern, sondern wenn, dann gleich mitten ins Gesicht fahren, sich aus der Halbdunkelheit auf mich stürzen und überhaupt nichts Buntes mehr an sich haben. Mit hilflosen Abwehrbewegungen versuche ich sie zu verscheuchen, bevor ich mich ihnen mehr pro forma zuwende – seht her, ich bin doch interessiert an so etwas wie einem gesellschaftlichen Zusammenhang! Es ist dieser wiederkehrende Alptraum, der mir sagt, dass ich keinen Ort mehr habe in meiner gewohnten Welt, dass auch ich rausrutschen könnte aus den gemeinsamen Kiezversammlungen gegen Gentrifzierung, aus den Initiativen der Schule gegen Rassismus und den Straßenkonzerten des Karnevals der Kulturen, den Prinzessinnengärten und dem Weltacker, von dem mir eine „Oma gegen rechts“ erzählte, flüsternd neben der Bühne einer proeuropäischen Demonstration, wo Erstunterzeichner den großen Max machen.

Währenddessen füllen sich andere mit nationalem Stolz, bis sie platzen, sodass Teile des Panoramas mir gleich um die Ohren fliegen werden, Bildmomente, auf denen Gestalten mit Rechthabermienen zu sehen sind, die sich häufig fühlen, häufig genug, um alles darzustellen. Gesichter von den Menschen aus Siegen, aus dem WerraMeißner-Kreis, aus Cottbus, aus Erfurt. Vom Land fürs Land, bloß nicht Berlin. Nichts wissen wir Städter vom Land. Die Frauenkirche in Dresden, die Büroetage in Mainz, wo es bekanntlich kaum Büroetagen gibt, wissen schon nichts vom Land. Der Fahrstuhlschacht aus Köln weiß nichts davon, eher schon die Chemnitzer Bahnhofsmöblierung, jenes Vorzeigeprojekt zur Gestaltung des öffentlichen Raums nach der Abkoppelung vom Intercity-Zugverkehr. Dort, wo die ehemalige Mobilität einer Stadt noch ein wenig um den Bahnhofsvorplatz schlingert, einen Businesshafen simulierend. Ihr Refrain lautet: Parkhäuser sind redlich.

Längst bewegen sich die Betrachter am Bild entlang, von links nach rechts lautet die Laufrichtung, ganz ohne politischen Hintersinn, wie feixend gesagt wird. Längst bewegen wir uns entlang und stolpern angesichts zahlreicher Unterbrechungen: Schon gibt es die bereits aus dem Bild getriebenen Einzelpersonen, schon gibt es die neuen Unsichtbarkeiten, die sich als Flecken quer über die Fläche verteilen. Stimmt es etwa, dass Leerstellen und Lücken sich mittlerweile als organisierende Bildmitte herausstellen, in der eine herrische Destruktion agiert? „Das Panorama ist noch in Bewegung“, sage ich prompt entschuldigend, als wäre ich hier irgendwie verantwortlich, „Änderungen sind jederzeit möglich, machen Sie mit!“ – „Wer gegen wen?“, ruft man mir zu, bereits ungeduldig geworden, denn man möchte das Schlachtfeld sehen, den Ort der Auseinandersetzung, den Verlauf der Frontlinien, aber der ist freilich nur auf den ersten Blick klar, beim zweiten sieht man schon, es sind von Anfang an verlorene Schlachten, in denen wir uns eingerichtet haben. Die tatsächlichen Toten geraten nie wirklich ins Bild, Opfer von Brandanschlägen, Schlägereien, wüsten Attacken, Bombenanschlägen und gezielter Ermordung oder durch Nachlässigkeit, Schlamperei und Vergesslichkeit Umgekommene, freilich alles Migranten, Menschen, die kaum jemand sieht. Legendenbildung hat sie gleich ersetzt. Gespräche über Plakate, die man in irgendeiner Nähe der Kölner Keupstraße gefunden hat, auf denen angebliche Anwälte 5000 Euro Belohnung für ein Nebenklagemandat bieten, oder die stets erwähnte Tatsache, dass diese Hellseherin schlagartig in der Ermittlungsphase auftauchte, quasi aus dem Nichts wie jene weiße Frau in Forstgebieten südlich der Donau. Plötzlich sei sie dagewesen, man wisse auch nicht, wie das kam, mitten in der Nacht an dieser Schnellstraße. Die weiße Frau stehe nachts im Wald am Straßenrand und lenke dann Autofahrer ins Nichts, also sie nicht erhörende Autofahrer, nicht auf ihre Bitten reagierende. Die Hellseherin lenkte nicht, sie wurde ja auch von der Hamburger Polizei beauftragt, um die Česka-Mordserie aufzuklären, was diverse Kontaktaufnahmen zu Toten erforderlich machte. Sie scheiterten aber alle, das Besetztzeichen hatte schon übernommen, der Ton war längst auf Durchfahrt gestellt. Auf unserem Panorama herrscht kein Telefonkontakt zu Toten, hier laufen die Bewegungen immer auf die gleichen rassistischen Stereotypen zu, von Beamten zu Beamten hin, eine Amtshilfe unter anderen, in akustischer Ödnis. Im Land der Hellseher gibt es also nichts Neues, und die übrige Heiligendarstellung wird sich ebenfalls in Grenzen halten, das war schon beim Original das Problem, zumindest hier an der Stelle bei der restlos umzäunten Anlage jenseits der Stadt, oder ein paar Schritte weiter bei den Baukränen der Revolutionsgarden, nein, keine Baukräne sind es, es 5 sind doch die wenigen noch richtig tickenden heimischen Bäume, an denen etwas aufzuhängen ist, oder anzubinden, was war es noch? Die Heiligendarstellung wird sich in Grenzen halten. Man versucht dennoch an dieser Stelle, Gesichter zu erkennen und Zuständigkeiten zuzuordnen. Hilflose Gesten, die einen ahnen lassen: Hinter den Haaren ist nichts, da kann man wühlen, wie man will, man wird auf kein Gesicht stoßen. Man wird nichts finden, nein, wirklich, du kannst damit aufhören, rufe ich schon, als dürfte ich mich einmischen, als fehlte hier und nicht anderswo Zivilcourage.

Ja, einmal dachte ich, ich wäre beteiligt an diesem Bild, man hat mich persönlich beauftragt, das war ein lächerlicher Irrtum, aber ich sagte mir, es bräuchte wahrlich ein neues Bauernkriegspanorama, jede Nacht zählte ich schon die Teile, die ich tagsüber gesammelt hatte, ob sie noch alle vorhanden sind, und immer kamen mir welche abhanden, es war ein Abzählreim, der nie ein Ende fand, die Zahlenreihe ging nie auf. Immer würden es mehr Teile sein, als Platz ist, immer wird etwas überstehen, immer kam etwas hinzu, das eben noch nicht da war, oder es war bereits verschwunden, obwohl davon ausgegangen werden konnte, es würde bleiben, von den Abgehängten über die Wendeverlierer zu den Wessis in Weimar. Letztere sind inzwischen Landräte und Bundesvorstände, sie träumen angeblich alle von einem alten Deutschland in Versionen, die nichts übrig lassen, während die Abgehängten immer noch nicht vorkommen und deswegen nichts vorkommen lassen. Vielleicht verzählte ich mich einfach, ich verzähle mich ja stets, wenn es um Menschen geht. Menschen in Gruppen, das habe ich noch nie können, immer hört meine korrekte Zählung bei 18 auf und wird unübersichtlich. Ich wäre eine schlechte Lehrerin.

Tagsüber bin ich ja meist eher dabei, nachzusprechen. D. h. ich versuche es, denn selbst die besten Dolmetscher geraten manchmal auf Abwege und landen dort, wo sie nun wirklich nicht hinwollten. Das hier ist aber nicht die Geschichte einer Dolmetscherin, die an entscheidender Stelle die Dinge falsch übersetzt hat und so alles zum Guten wendet. Hier auf diesem Panorama wird leider alles richtig übersetzt, zu richtig, das zeigen auch die kleinen Figuren im Bildhintergrund, die miteinander würfeln: Sehen Sie da diese Figur, die nicht mehr vor lauter Weisungsgebundenheit aus sich herauskommt! Sehen Sie diese Figur, die zögert, weil sie nicht weiß, ob sie zuständig ist! Sehen Sie diese Figur, die Angst hat, weil man sie entdecken könnte, identifizieren und dann den Geldhahn zudrehen wie bei allen anderen! „Wir können uns keine Fehler mehr leisten“, rufen sie alle, und ich nicke ihnen zu, als würde ich sie bereits übersetzen, während sie den Rest der Abhörprotokolle vernichten.

Das Recht auf Vergessenwerden wird jedoch anderswo ausgehandelt, hier auf diesem Tisch fallen stets nur Würfel, die Würfel des Faktischen, und wenn sie gefallen sind, muss man sich danach richten. Entscheidungen werden lange genug vorbereitet, heißt es, man solle jetzt nicht so tun, als sei man überrascht. Das politische Machtwort ist vielgestaltig. „Hinter den Haaren ist nichts“, höre ich mich wiederholen, „da kann man wühlen wie man will! Du wirst keine Augen finden. Oder suchst du den Mund? Die Ohren? Das Gehör?“ Jemand vor mir macht hektisch weiter mit seinen Bewegungen, ganz nahe am Bildvordergrund, die Figuren hinter ihm steuern bereits ganz automatisch weg von dieser Stelle auf diese Menschen mit Rechthabermienen zu. Ja, wer so geradeaus gehen kann, der hat keine Angst vor seinem Doppelgänger! Nur wenige zweigen vorher ab, ihnen gehört mein ganzer Respekt. Für die anderen ist erstaunlich viel Platz auf 360 Grad. Sie wähnen sich ihrer Zeit immer voraus und warten, dass ich als Betrachterin langsam ankomme an dem Punkt, den sie bereits besetzt halten. Sie erwarten mich, wohin ich auch blicke, und bringen Unruhe in die Chronologie der Ereignisse, die ohnehin nur noch schwer zu erfassen ist. Zwar sind auch Jahreszeiten auf diesem Bild verteilt, sie regeln die Sichtbarkeit des Verlaufs nach wie vor, geben durchaus dramaturgische Schützenhilfe, allerdings nur oberflächlich, denn der Ablauf eines Jahres korrespondiert nicht mit den Millisekunden der Börse, nicht mit den das menschliche Verständnis von Kausalität überschreitenden Vorgängen, diesen passgenauen Entscheidungen unserer technischen Geräte, von denen es heißt, sie seien Tools. „Von sowas kommt sowas“, ist ein Auslaufmodell, das allenfalls in den Amtsgerichten der Städte noch mühsam aufrechterhalten wird. Die Gerichte sind ja seit längerem unsere letzte Hoffnung, der Supreme Court in London, der Internationale Gerichtshof in Den Haag, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Vor den Gerichten, heißt es, erhalten wir endlich Auskunft, in den Gerichten findet der Rechtsstaat noch statt, Gerichte gebieten dem Spektakel noch Einhalt, aber ganz so sicher sind wir nicht. Wir, die wir plötzlich als Elite verdampfen, wo wir bis eben noch Mittelstand waren. Wir, die wir Repräsentanten der herrschenden Klasse sind, Reptilienwesen mit ungewissem Ausgang, wir, die wir gleich welchen Schließmuskel bedienen können, um die Flut an Exkrementen zurückzuhalten, die die inneren Organe zum Platzen bringen, aber alles rauslassen, immer nach unten, immer nach unten!

Es ist doch eine Welt mit jeder Menge Jahreszeiten, könnte man an dieser Stelle einwenden, hier finden wir durchaus auch Winter, wo man ihn niemals vermutet hätte, 7 ein Übermaß an Winter, der sich mal als Sommer aufspielt, wo es ihm nicht zukommt, mal als Herbst, nie können wir dem trauen, aber das Licht ist weg, soviel ist klar. Jede Menge Jahreszeiten finden wir platziert in den einzelnen Szenen, aber leider ohne Übergänge, ganz ohne das gemäßigte Klima, das man uns versprochen hat vor dreißig Jahren, nach der Wende, das neue blockfreie Zeitalter, das so verheißungsvolle Ende der Geschichte. Die Geschichte läuft wieder, versucht man es positiv zu formulieren, nur eben rückwärts, Fragen dürfen aber wieder gestellt werden. „Wer möchte?“ Das Mikro kreist durch die Menge, keiner nimmt es, es wird immer weitergereicht, irgendein Herr weiter hinten wird sich schon melden. Nein? Ich liege damit falsch? Das tue ich mit Sicherheit.

Wo stehe ich eigentlich, auf wessen Seite, hat man begonnen zu fragen? Halb drinnen, halb draußen, jenseits der Abgründe zwischen Bildkomposition und Interpretation mit Sicherheit, jenseits der Schluchten des Nichtverständnisses, der falschen Zuordnung und der Bedeutungsverschiebung, da herrscht kein Abstand mehr, es regieren Meinungshoheiten, besonders in der Gegend links oben um die Szene mit kommunalen Kirchenvertretern, örtlicher Feuerwehr und Gewerkschaftsresten, man verlässt sie am besten in Richtung einer Game Convention, mit unausgesprochenen Wahrheiten im Gepäck, die beständig Blasen werfen, Echokammern wie Bienenwaben bauen, um hier am Bildrand das unüberwindliche Gebirge der Regression zu simulieren. Insofern ein Minuspunkt für mich, die Übersetzerin.

In dieser Welt, die sich plötzlich rückwärts dreht, so heißt es, ginge man ja auch rückwärts, wenn man vorwärts liefe. „Verkehrtrum müsst ihr also laufen“, lautet die Losung, „wollt ihr vorwärtskommen!“ Und manche rund um mich halten sich bereits daran. Im Land der Rückwärtsgänge muss man den Rückwärtsgang üben, um überhaupt irgendwo zu landen. Dann würde man auch Leuten begegnen, einem neuen Ernst Bloch zum Beispiel, ja, der müsste einem endlich entgegenkommen, aber niemand sieht ihm nur im Geringsten ähnlich. Du musst besser hingucken, sage ich mir, du hast nicht genau hingesehen, du wirst ihn schon finden. („Hinter den Haaren ist nichts, da kannst du wühlen wie du willst!“) Doch es hilft nichts, zurzeit ist kein neuer und kein alter Bloch zu entdecken, auch in diesem Provinzkongresscenter mit seiner 100-Grad-Fernsehöffentlichkeit dritten Ranges, auf das sich nun unser aller Augen richten müssen. Man wird es wahrlich als das geheime Zentrum des Panoramas bezeichnen, der entscheidende Ort, der das Ende aller Schlachten bestimmen wird mit seiner Scheinwerferunwirklichkeit und dem platzierten Blumenstrauß halbmittig. Hier, 8 ist anzunehmen, kommen alle Gespenster aus der Zukunft, fegen aber nur kurz über das Parkett und sind danach komplett verschwunden. Sie überlassen den Provinzheroen wirklich die ganze Bühne, die kleidsamen und unkleidsamen Kommunalpolitiker, die gemachten Menschen und die ungemachten. Der Ort, an dem Parteizugehörigkeiten steinhart wirken, aber deren Profile fadenscheinig, unwirklich, verfahren, unvorhersehbar. Man weiß nicht mehr, was es bedeutet, Christdemokrat zu sein oder Sozialdemokrat, nicht einmal das freiheitliche Gespenst hat hier freie Durchfahrt, auch die Grünen haben etwas hinter sich gelassen, was war es noch, und man munkelt, am ehesten gibt die völkische Partei ihre Hassparolen nicht auf, aber im Grunde ist alles der Lage geschuldet. Baufragen, Betriebsfragen, hier auf dem Land bleiben Allianzen zurück wie chemische Rückstände nach der Fabriksdemontage. „Niemandem musste ich am Ende die Hand geben, dem ich die Hand nicht reichen wollte“, sagten sich die in diese Provinz manchmal einreisenden Besucher. Man hatte sich gefürchtet vor dem falschen Händedruck, den man der Gegend hier zuschreibt, aber da will ohnehin niemand ganz allgemein etwas von Durchreisenden wissen, schon gar, wenn sie Großstädter sind und immer leicht reden haben. Wer dementiert da noch das Gerücht, dass sich unsereins ganz automatisch mit ihnen identifiziere, sie als seinesgleichen erkenne? Das Fremdschämen ist die äußerste Annäherung an den anderen: „Auf der Bühne ist der Kerl nun, wie kriegt man ihn wieder herunter?“ Fremdschämen, das ja, aber keine Fremden bitte an diesem Produktionsort von Öffentlichkeit, dem Ort, von dem aus immer alle erreicht werden müssen, an dem die Quote regiert wie sonst nichts, aber immerhin nicht das Heutige! Woanders heißt es: „Er ist so gestrig!“ – nicht hier! Heutig zu sein und hiesig, die beiden Imperative der Gegenwart werden nur in der Welt da draußen mit dem einen Schimpfwort zusammengefasst, das überall handelsüblich ist: „Fremd“, er oder sie sei „fremd in dieser Welt“. In der Provinz muss niemand im Hier und Jetzt stehen, es reicht das Hier, während das Jetzt draußen vor der Tür hart zuschlägt.

Wie gut, dass fernsehstudioartige Aufbauten den restlichen, jetzt noch verbleibenden Bildraum durchziehen. Ausbleibende Gesprächspartner sind darin ihr entschiedenster Ausdruck, ja, ihre Art realistisch zu sein. Schließlich heißt es, uns fehlten ganz allgemein die Gesprächspartner, und: wo bleibt die Streitkultur? Ja, wo bleibt die Auseinandersetzung in diesem Land der fehlenden Begegnungen? Die Einrichtung von Ministerien für Einsamkeit wird deswegen als die letzte paneuropäische Initiative gelten fernab in der Hauptstadt, wenn man die Proteste gegen die Zukunftsverluste 9 angesichts des Klimawandels nicht mitzählen möchte, was einige immer noch lautstark nicht möchten. Inzwischen hat man links von den fehlenden Gesprächspartnern bereits die Stelle angewiesen, an der sämtliche bilaterale Gespräche diesbezüglich abgebrochen wurden. Alle, so heißt es, bezeichneten sich als Opfer und den jeweils anderen als Faschisten, wahlweise Öko-Faschisten, während sie von abstrusen links-rechts-Symmetrien eingemauert würden. Die Situation habe sich festgefahren und selbst ein Beichtstuhlverfahren wie in der Europäischen Union würde hier nichts mehr abwerfen, aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Kratzte man nur ein wenig an der obersten Schicht Farbe, machte man das Lautstarke ab, würde man noch anderes sehen, sicher keinen Weg ins Erdinnere, ins Reptilienerdinnere, eher übriggebliebene Gesprächspartner, die sich voluntaristisch Provokationen an den Kopf werfen, um nicht überflüssig zu wirken. Kein Wunder also, dass man diesen Bildmoment die „falsche Passhöhe“ nennt, bzw. den Abschluss des 360-Grad-Spektrums, denn zu einem Ende muss die Geschichte ja kommen.

Das ist mit Sicherheit der Augenblick, wo mir auffällt, dass keine Frauen auf dem Bild zu sehen sind, und es ist auch mit Sicherheit der Augenblick, in dem wir klar wird, dass dies allen um mich herum nicht merkwürdig erscheint, dieser Gruppe von Betrachtern, die sich angesammelt haben. Sie werden beständig als Konsumenten angesprochen, als „unsere lieben Bild-Kunden“, was erstaunlich ist. Nicht nur sehen wir dafür ganz schön schäbig aus, auch sind wir ja irgendwie beteiligt, so sagt man mir, dass Korrekturwünsche sicher noch nachträglich anzubringen sein werden, ich solle mich nur gedulden, dann kämen schon noch Frauen ins Bild, Nachbesetzungen seien ohnehin vorgesehen, da sei schon was zu machen. Während ich noch überlege, in welcher Form Korrekturwünsche einzureichen wären, gibt man mir erneut zu verstehen, ich sei zu ungeduldig und ich solle mich hier nicht als Opfer hinstellen! Das Bild bewege sich ja noch, also müsse es auch veränderbar sein, das habe ich doch selbst behauptet. Und an den eigenen Maßstäben wird man doch immer noch zu messen sein, meckert mich einer an, als wären wir im Straßenverkehr, ich sehe ihn an, verschlurft, nachlässig angezogen, schlechte Zähne. Auch der Typ neben ihm macht sich nicht gut, zumindest schlechter als die Figuren auf der Leinwand, nicht unbedingt gewaltbereiter, aber auch nicht die Allianz, die ich mir erhofft habe, im Gegenteil. Stehe ich jetzt etwa auf der falschen Seite, eine Frau des sogenannten Genderwahnsinns, der mit aller Schärfe zu begegnen ist?

Schließlich, so fährt der Meckerer inzwischen fort, hätte ich doch bereits deutlich gemacht, dass das Panorama nie fertigzustellen sein wird? Also los! Ja, jede Runde wirft Neues auf. Die Menschen, die wir erst beim zweiten oder dritten Rundgang darauf entdecken werden, sind vielleicht nicht mehr die, die immer noch in ihren Carports festhängen oder hinter Treckern sitzen und das Ganze nochmal durchüberlegen, obwohl der quasi alleinlaufende Stall mit 400 Kühen danebensteht und nichts mit ihnen zu tun hat. Sind das immer noch die Täter, die zur Tat schreiten wollen? Ja, es sind immer noch diese Männer, die sich zurückmelden, Landeier, die sich zurückmelden in eine neue Sichtbarkeit, die die alte auszuhebeln versucht, Landjunker, Provinznasen, Alte, die sich plötzlich herausheben wollen mit ihren Geschichten, also alte Männer. Alte melden sich zurück, die Junge für sich arbeiten lassen werden in schlagenden Verbindungen so oder so. Es ist ein Bild der Rückmeldungen, kein Bild, das vorwärts will und sich deswegen andauernd ändert. Kommt man ein zweites Mal an einer Stelle vorbei, wird man entdecken, dass das Erreichte schon wieder zerstört, die kleinen Siege sich in Niederlagen verwandelt haben, und von Errungenschaften kann nicht die Rede sein, die Erde wird wieder eine Scheibe. Hier wird Geschichte stets neu erfunden, heißt es, doch nur, wenn man genau hinsieht, wird man die am Rand befindlichen einzelnen Gruppierungen aus den Ständen wahrnehmen können, nicht selten Doubles der Rückmelder, also Kopien in anderem Kostüm, die sich Privatiers nennen oder Kaufmänner, die sagen, sie seien international unterwegs, sie investierten, die gleichen Visagen wie damals vor knapp 500 Jahren, aber sie sind so klitzeklein, mit bloßem Auge kaum zu erkennen, und es ist klar, mit jeder Runde entfernen sie sich weiter. Im Grunde sind sie immer schon uneingeschränkt verloren gegangen in den Weiten der technischen Wastelands. Mehr mit sich beschäftigt als mit allem anderen, wie es heißt. Der Klerus kümmert sich angeblich nur noch um sich, die Reichen der Welt nur noch um sich, auch die politischen Entscheider sind angeblich nur noch mit sich beschäftigt, abgekoppelt. Das andere wird alles technisch erledigt, heißt es, und damit sind wir ganz automatisch bei der Frage gelandet, wie es um die Verpixelung steht. Die Metadaten des Bildes werden nicht zu erheben sein, und das ist vielleicht auch seine ganze Leistung. Es wird nichts abzuleiten sein für die neuen Militärgerichte unserer Zeit. Kein Espionage Act kann mehr auf sie zugreifen, kein Überwachungsprogramm installiert, die Kontobewegungen dahinter schlecht einzusehen, auch Urheberrechtsprobleme, by the way, sind nicht auf es zu beziehen. Meine Bezahlung als mögliche Bildautorin entfällt, der neue Referen- 11 tenentwurf sieht meine Abschaffung ohnehin vor, doch das ist wieder mein Pessimismus, dem man bitte jetzt einen Zweckoptimismus entgegenstellen sollte, dalli dalli, bevor neue Generationen kommen, die uns auch diesen Job aus der Hand nehmen werden.

Die Gruppe der Menschen um mich herum hat sich erweitert, einige stehen vor dem Geschehen mit ihren Handys, diese auf- und abbewegend, Bildteile fotografierend, den QR-Code suchend, der dann zu der das Bild aufschließenden App führen würde, doch sie finden ihn nicht. Sie erwarten das Interaktive in einer Lethargie, die mir klar macht, dass die Sache mit dem Körper sich erledigt hat. Man hat sich bereits sehr weit von Hieronymus Bosch entfernt und von seinen zerstückelten Körpern, überhaupt keine Körper sind am Ende zu sehen, auch keine Halbwesen aus der Unterwelt. Die Körper fallen aus dem Bild heraus. Ihre Leiden mögen sich chronifiziert haben in einem Klimaalarm, der Staublungen, Stopptasten, Asthma und allgemeine Vergiftungserscheinungen mit sich bringt, aber sie selbst werden zurückgehalten, vielleicht für ein letztes Gericht, einen Untersuchungsausschuss oder auch ein Skandalmedium, genau weiß man es nicht, kein Wasser mehr übrig für andere, sozusagen vorletzte Gerichtsmühlen, die ja stets zu mahlen haben und uns beruhigend zuflüstern, wir werden keinen Rechtsverlust erleben.

Ja, alles in allem kann man sagen, Hieronymus Bosch hat mit unserem neuen Panorama nichts mehr zu tun, auch Werner Tübke hat nur noch sehr wenige Karten mehr drin, zudem kommt eine gewaltige Standortproblematik hinzu. Der gesamte Kyffhäuserkreis hat sich schließlich verabschiedet in die eigenen Wahlergebnisse, für die die Größenverhältnisse des Bildes nicht ausgerichtet sind, die Statik nicht mehr zu bewältigen anhand der tektonischen Plattenverschiebungen, dem falschen Untergrund, wie es heißt. Der historische Ort müsste jetzt erst ausgegraben werden, durchaus mit Hilfe mancher Bewohner vor Ort, „da arbeiten wir noch dran“, heißt es von denen, die Standortproblematiken ohnehin nicht ernst nehmen oder langsam lieber zu etwas anderem übriggehen wollen. „Ein Gebäude muss es ja doch werden“, wende ich ein, „Gewicht muss es ja doch haben.“ Doch ich höre, wie meine Stimme merkwürdig leise klingt. Jetzt bin ich wohl alleine, jetzt habe ich wohl die anderen hinter mir gelassen, oder sie haben das Gebäude verlassen aus guten Gründen, wie sie sagen, weil es doch über uns zusammenstürzen wird.

Liegt wirklich unsere ganze Hoffnung auf den Gerichten? Warum sonst kommen mir jetzt kurz vor dem Ende noch Anwälte in den Blick, sie tauchen auf quasi aus dem 12 Nichts, solche mit einem Tagesgeschäft und solche ohne. Schnell sind sie vorübergezogen, wie ein Gewitter, um an einer anderen, unerwarteten Stelle wiederaufzutauchen, ganz plötzlich, rund um Tische versammelt mit ihren Roben oder knapp vor Felsstürzen, von denen herab vielleicht sogar noch gepredigt werden könnte. Nur einer in der flachen Ebene, als würde er sich auf mich als der einzigen Betrachterin zubewegen, bleibt vor mir stehen, er trägt eine Plastiktüte. „Was hast du da drin?“, frage ich ihn, er sagt, „das sind Stofffetzen.“ – „Warum trägst Du eine Tüte mit Stofffetzen mit dir herum?“ – „Die habe ich von meinem Mandanten bekommen. Auf jedem Stofffetzen steht ein Name. Ein Name aus einer Nachbarzelle.“ Die Gefangenen des Geheimgefängnisses in jenem Land notierten die Namen auf Teilen ihrer Kleidung, damit sie später diese parat haben würden und die Angehörigen informieren. „Er hat sie mir gegeben und hat gelacht: Jetzt trägst du die ganze Last der Erinnerung! Und jetzt trage ich sie“, schließt er seine Geschichte und geht seines Weges.

Eine andere Anwältin eilt herbei, man solle helfen, es komme einer von der gerichtlich festgestellten Wahrheit nicht runter. Dessen Zeugenaussage zugunsten ihrer Mandantin, einer Prostituierten, habe sich mittels Richterspruch in eine Lüge verwandelt, und jetzt hängt der Zeuge da oben auf der festgestellten Wahrheit, eine Stele, so hoch, dass niemand sich leisten könnte, von ihr herabzufallen.

Eine dritte sieht sich das an, sie kenne sich mit Höhen aus, so könne sie von der Höherrangigkeit eines Persönlichkeitsrechts berichten, die es nach diesem Urteil unmöglich machte, den antisemitischen Rapper als Antisemiten zu bezeichnen. Die Verletzung aufgrund dieser Bezeichnung sei in Deutschland aufgrund der historischen Last schwerwiegender als die Tat. Seither falle sie, sie falle aus den Höhen und Höherrangigkeiten, sie falle durch die Wirklichkeit hindurch, und der Fall nehme kein Ende. „Ich muss weiter“, sage ich etwas nervös, in den Haaren meines Gegenübers wühlend, eine Übersprungsgeste, denn Gespräche mit Bildfiguren waren bisher nicht zu erwarten, und ihre Botschaften verunsichern mich. Die Anwältin ruft mir noch zu, ich solle ja Unschärfe bewahren! – „Bitte? Ich verstehe nicht“, rufe ich zurück, doch die Antwort kann ich schon nicht mehr vernehmen. Ein Wind trennt uns, ein Wind weht mir jetzt immer scharf um die Ohren, an jener Stelle, an der die Felsen schroff aufragen und die mir gleich bekannt erscheinen hätte sollen. Schließlich bin ich schon einmal hier vorbeigekommen, hier, so weiß ich, endet für mich persönlich jedes Mal der Rundgang, jene Stelle mit den plötzlich schroffen Felsen und den alten 13 Lagerhallen, hier werde ich selbst zur Zeugin oder etwas, das man zumindest anfangs noch Zeugin nennen kann. Hier findet er statt, der Eintritt ins Bild, oder aber ich bemerke erst jetzt, dass ich mich längst in ihm aufhalte. Jetzt denke ich mir, dass es nur einen Grund dafür gibt, Unschärfe zu bewahren, den der Zeugenschaft. Damit ich später vor Gericht die ganze Geschichte ganz genau berichten kann, in allen Details, und sie nicht schon vorher wegerzählt haben werde. Die Erinnerungsschärfe einer Zeugin stelle sich nur einmal her, hatte man mir bei einem der letzten Rundgänge erzählt. Wiederhole man seine Berichte vom Erlebten, dann schlichen sich Fehler ein, die die Zeugenschaft quasi von innen her zerstörten. Dieser Gedanke muss mir kurz vor dem Moment gekommen sein, in dem der Schmerz eintrat. Ich habe diese Typen nicht gesehen, sie erschienen von hinten, weil dieses Bild auch ihre Helden nur noch rückwärts ausspuckt, just in den Augenblicken, in denen man gerade nicht hinschaut, wenn man abgelenkt genug ist. Diese Augenblicke, so heißt es, eröffneten die Möglichkeit, dass etwas Anderes geschieht, etwas Neues, Unvorhersehbares, Rettendes, aber in diesem Fall leider nicht. „Die Helden haben sich alle verbraucht, tut uns leid, wir haben nur das, was historisch vorrätig ist.“ Ein weiterer neuer Bildautor gibt zu verstehen, man bedaure den Vorgang und werde mich schnell wegkehren, kein Grund zur Sorge, gleich wird nichts mehr zu sehen sein. Man fülle die Lücke, die entstanden sein könnte, längst seien Doppelgänger unterwegs, die kämen freilich von weither, das dauere einen Augenblick.

Vielleicht übt die Person an meiner Stelle dann den Rückwärtsgang, wie man mir einst empfahl, vor langer Zeit, den Rückwärtsgang zu üben im Land der Rückwärtsgänge, aber nicht mit einer Romantik der falsch ausgelegten Spuren, die sich längst verfangen hat in den T-Shirts von Neonazis mit der Aufschrift „Brüder schweigen“. Rückwärts gehen, bis ich wieder an die Wegkreuzung komme, an der ich dich treffen kann. Oder wessen Stimme ist es, die mir sagt, ich müsste nun endlich wirklich einreisen ins Bild und nicht nur so halb? Es ist doch deine Stimme, die mir sagt, eine ticketlose Einreise sei es obendrein?

Ich bin längst dort, wo mein Hang zur Komik mir nicht wirklich mehr weiterhilft, sicher, da gibt es jene Ecke, in der Witze erzählt werden dürfen, sie ist bereits ganz schön zugestellt, das Wohnzimmer eines Messies, der dringend Hilfe braucht, aber sie aus verschiedensten Gründen niemals bekommen wird. Immerhin ist das der Ort, von dem aus man endlich auf die Rückseite des Ganzen gelangt, die Leinwand von hinten, das Material linksgestrickt, stofflicher Boden und Träger. Und das ist gut so, 14 denn die Überraschungen, die das Bild für uns bereithält, liegen mit Sicherheit auf dieser Seite.

Einmal war ich unterwegs in dem Bild, habe gesucht nach deinem Aufenthaltsort, bisher habe ich ihn auch noch nicht gefunden. Ich konnte ihn mir einfach nicht ausmalen. Die Menschendichte ist auch zu hoch, tröstete man mich, das habe ich nicht verstanden, aber ich habe erkannt, du hast dich gewehrt, du hast es zustande gebracht, dass sich dort etwas ändert, in deinem Betrieb, in deiner Schule, in deiner Nachbarschaft, ja in der Stadt, du hast das Miteinander aufgegriffen, die zähe Aushandlung zwischen den Beteiligten, und das, was daraus entstand, wurde groß. Als man sah, dass du nicht im Spektakel der Medien untergehen würdest, weil du nicht einzeln warst, hat man Gegenmaßnahmen ergriffen, die dich lange nicht erreichten, weil du nicht einzeln warst. Der billige Hass auf deinen Nächsten, den man heute als erfrischende Position bezeichnet, wird deine Sache nie werden. Die Geschichten, die du erzählst, werden weitererzählt werden. Und auch wenn deine Niederlagen sich eher fortschreiben als die Erfolge, ja, selbst, wenn es dich heute nicht mehr geben soll, wie alle behaupten, hinterlasse ich meinen Gruß auf diesem Bild und weiß, er wird dich erreichen.